Mrz 222013
 

Diese Woche war Frühlingsanfang. Und was passt besser zum Frühling, als sich zu verlieben? Liebe macht vor keinem Alter halt. Dies kann man in meiner Geschichte lesen, die ich euch heute vorstellen möchte. Ich hoffe, sie gefällt euch.

Perspektivwechsel

„Ich … weißt du … also ich … ähm … ich werde dich morgen nicht besuchen kommen. Weißt du, du … es ist … ist jetzt drei Jahre her, seit du mich verlassen hast und … also, ich, ich muss mal raus aus der täglichen Routine.
Ja, ich weiß was du sagen willst, und nein, du bist keine Routine, eher eine lieb gewonnene Angewohnheit, wobei – Angewohnheit ist auch das falsche Wort. Ach, egal. Ich, ich wollte dir nur sagen, dass du morgen nicht auf mich warten sollst. Ich komme nicht her. Bitte versteh’ das und – mach’s gut!“.
Es fiel mir schwer mit meiner Frau Rosemarie so zu reden, sie war immer die dominante in unserer Ehe gewesen. Erleichtert drehte ich mich um und verließ beschwingt den Friedhof. Ich war so aufgedreht, dass ich sogar meinen Stock am Grab meiner Frau liegen ließ.
Wer hätte auch gedacht, dass ein achtzigjähriger Mann sich noch einmal verlieben könnte?


Alles hatte vor einem Jahr begonnen. Ich stand am Grab meiner Rosemarie, als ich drei Reihen weiter eine Frau entdeckte. Sie war ganz in Schwarz gehüllt, und ein Spitzenschleier verdeckte ihr Gesicht.
Wir Männer sind ja grundsätzlich nicht neugierig, und dass ich am nächsten Tag an dem Grab vorbeischlenderte, an dem die geheimnisvolle Frau stand, lag nur daran, dass mich die schönen Blumen auf dem Nachbargrab interessierten.
Es war scheinbar ihr Mann, den sie besuchte, das schloss ich aus den Daten, die auf dem Grabstein standen. Er hatte am Vortag seinen Todestag gehabt: Genau ein Jahr war er jetzt tot.

In den nächsten Wochen ging ich zu den unterschiedlichsten Zeiten auf den Friedhof, um festzustellen, wann diese Dame ihren Mann besucht.
Ich versuchte mit Rosemarie über alles zu reden, sie gab ja keine Widerworte mehr. Aber genau deshalb beschlich mich die Einsamkeit.
Irgendwann sagte ich zu der Dame im Vorbeigehen:
„Guten Tag Frau Rieser.“
Und sie antwortete: „Guten Tag, Herr Heinrich.“
Sie hatte also ebenfalls nachgeschaut, an wessen Grab ich immer stand. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer.
Einige Tage später, im Hochsommer, saß sie auf einer Bank im Schatten der Eiche an der Friedhofspforte. Ich setze mich einfach dazu, und wir redeten übers Sterben und über das Zurückbleiben.

Fortan saßen wir oft stundenlang auf dieser Bank, und unsere Gespräche wurden immer intimer. Wir unterhielten uns über das Leben, unsere Familien und unsere Sehnsüchte.
Und dann stellte sich heraus, dass wir beide im gleichen Ort zu Welt gekommen waren. Frau Rieser war fünf Jahre jünger als ich. Wir waren uns vermutlich in unserer Kindheit und Jugend oft über den Weg gelaufen, ohne einander kennenzulernen.
Wir redeten oft über die Kleinstadt, die für uns heute ohne Auto nur noch schwer erreichbar ist. Einen Bahnhof gibt es dort nicht, und Busse fahren nur zwei oder drei Mal am Tag dorthin. Also beschlossen wir, uns die Kosten für ein Taxi zu teilen, um die Stätte unserer Jugend aufzusuchen.
Diesen Tagesausflug werde ich nie vergessen. Wir hatten viel Spaß zusammen, und Frau Rieser hatte sogar einen Picknickkorb gepackt.
Auf dem Nachhauseweg tranken wir Sekt und beschlossen, uns fortan zu duzen.
Elvira – dieser Name gefällt mir sehr gut, weil er wirklich zu ihr passt – hatte anfangs Schwierigkeiten damit mich Friedrich zu nennen. Ich erzählte ihr von den vielen Verwechslungen und lustigen Episoden, die ich mit meinem Namen schon erlebt habe. Friedrich Heinrich ist eine Kombination, die Verwechslungen geradezu herausfordert. Mit der Zeit gewöhnte sich Elvira an, mich Frieder zu nennen. Das freut mich, so hatte mich noch niemand genannt, und so ist es etwas besonderes.
Wir trafen uns immer noch fast ausschließlich auf dem Friedhof, auch wenn wir danach oft noch in ein Café gingen.
Und dann kam der Tag, an dem Elvira nicht auf den Friedhof kam. Ich wartete und wartete. Es war schon fast dunkel, als ich endlich nach Hause ging. Am nächsten Tag war ich schon früh auf den Beinen und sehr zeitig auf dem Friedhof.
Aber auch an diesem Tag kam Elvira nicht – eine ganze Woche lang schlich ich umher, bevor ich mich traute, ihre Adresse aufzusuchen. Nach dem Klingeln öffnete niemand, und auch sonst machte das Haus einen verlassenen Eindruck.

Was mochte nur passiert sein?

Ich war so verzweifelt, dass ich mir alle Zeitungen der letzten Tage zusammen suchte und die Sterbeannoncen durchstöberte. Zum Glück war keine von Elvira dabei.
Das ließ mich hoffen.
Mit dem Telefonieren habe ich es nicht so, also setzte ich mich hin und schrieb einen Brief, den ich in ihren Hausbriefkasten warf. Es tat weh, nicht zu wissen, was mit Elvira passiert war.
Am gleichen Tag kam mit der Post ein Brief von ihr, in dem sie mir schrieb, dass sie sich den linken Arm gebrochen hatte und in der Uniklinik lag. Sie würde aber am nächsten Tag entlassen, und wir könnten uns, wie immer, auf dem Friedhof treffen. Elvira hatte also an mich gedacht.

Einerseits war ich froh, dass nichts Schlimmeres geschehen war, andererseits war ich aufgeregt, denn ich hatte einen Entschluss gefasst. Noch so eine Woche, ohne zu wissen, wie es ihr geht, würde ich nicht aushalten.

Ich kaufte einen Strauß rote Rosen und ging zum Friedhof.
Elvira saß auf unserer Bank und wartete auf mich. Ich setzte mich neben sie und sagte:
„Elvira, schön, dass es dir wieder gut geht. Aber ich muss dir etwas sagen. Ich möchte nie mehr so in Sorge um dich sein müssen. Wie wäre es also, wenn du zu mir in mein Haus ziehst? Ich glaube nämlich, ich habe mich in dich verliebt.“ Wir ein Schuljunge fühlte ich mich, so schüchtern, voller Angst und voller Hoffnung.
„Ich dachte schon, du fragst nie!“, meinte Elvira, als sie mich langsam an sich zog und mir ganz sanft einen Kuss auf die Wange gab.

Morgen wird Elvira endlich zu mir ziehen, und deshalb muss meine Frau einfach verstehen, dass ich sie an so einem Tag nicht besuchen kann. Meine Zukunftsperspektive hat sich einfach geändert.

Liebe Grüße

cat

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 Veröffentlicht von am 22. März 2013 um 02:56  Kennzeichnung:

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