Dez 062014
 

Jonas und der Weihnachtswunsch
© Claudia Sohler 04.12.2014

‚Soviel zum Thema Ehrlichkeit und Vertrauen!‘, dachte Jonas und stapfte wütend durch den frisch gefallenen Schnee. Er hatte sich dick angezogen und lief durch die kleine Reihenhaussiedlung, um seinen Frust loszuwerden.
Seine Mutter hatte immer gesagt, sie müssten ehrlich zueinander sein. Sie hätten nur sich beide, der Rest der Familie wäre weit weg und so müssten sie zusammenhalten.

Und er hatte ihr geglaubt! All die Jahre!

‚Ich könnte mich ohrfeigen!‘, dachte Jonas. ‚Warum nur musste ich auch gestern Abend nach meinem Geschenk stöbern?‘
Seine Mutter hat sich zu dieser Zeit mit Freundinnen getroffen, das tat sie selten und Jonas hatte sich für sie gefreut. Aber als sie weg war, kam ihm die blöde Idee nach seinem Weihnachtsgeschenk zu suchen. Eigentlich war er mit seinen elf Jahren ja zu alt dafür und er wusste auch, dass seine Mutter ihm selten einen Wunsch abschlug. Nur seinen heimlichen Wunsch nach den Großeltern konnte sie nicht erfüllen. Also rechnete er mit der Playstation, zumal diese in der letzten Woche im nahen Supermarkt mit einigen Prozenten Rabatt angeboten worden war. Er wollte ja auch nur mal schauen … und dann hatte er in Mutters Kleiderschrank, ganz hinten versteckt, eine kleine Truhe gefunden. Langsam hatte er sie herausgezogen und erst einmal eine Weile in der Hand gehalten, bevor er sich entschloss, sie zu öffnen.

Er konnte nicht glauben, was er da sah – Briefe, Zeichnungen und Fotos, die er für seine Großeltern gemacht hatte. Immer war die Rede davon gewesen, das seine Großeltern in Amerika lebten. Er hatte zu seinen Geburtstagen immer amerikanische Sachen bekommen. Gut, Jonas wunderte sich ab und zu, dass er nie mit ihnen telefonieren konnte, aber seine Mutter hatte dies immer mit dem Zeitunterschied erklärt und er war damit zufrieden gewesen.
Aber jetzt! Jetzt sah die Sache anders aus. Während er darüber nachdachte fiel sein Blick wütend und neidisch in die hell erleuchteten Wohnzimmerfenster in den Häusern, an denen er vorbei kam. Jedes Mal krampfte sich sein Herz ein wenig zusammen, wenn er darin Familien sah, die friedlich zusammen am Tisch saßen, spielten oder aßen und den vierten Advent feierten.
Familie – hatte er noch eine Familie? Was war denn mit seinen Großeltern? Warum lagen all diese Sachen in einer Truhe versteckt im Kleiderschrank?

‚Sie hatte ihn belogen!‘, dachte Jonas und ballte die Hände zu Fäusten.
Abrupt blieb er stehen und schaute sich um. Wo war er denn hier gelandet? Nichts kam ihm bekannt vor.
‚Mist! Auch das noch!‘ Jonas lief zur Straßenecke, um nach einem Schild zu suchen. Aber natürlich war kein Straßenname zu finden. ‚Oh Mann, jetzt habe ich mich auch noch verlaufen!‘, unsicher kramte er nach seinem Handy in der Hosentasche und konnte es nicht finden! Stimmt, das lag zum Aufladen auf dem kleinen Schränkchen in der Küche. Ein Blick zur Uhr verriet ihm, dass er schon drei Stunden unterwegs war. Seine Mutter würde sich sicher Sorgen machen. Na und! Sollte sie doch!
Mit einem mal wurde ihm kalt. Fröstelnd zog er die Schultern hoch. Jonas entschloss sich dazu, in die Richtung zu gehen, aus der er gekommen war. Suchend schaute er sich um, ja, aus welcher Richtung war er denn gekommen? Er hatte überhaupt nicht auf den Weg geachtet, war in seiner Wut um Ecken gegangen, hatte Straßen gequert und stand jetzt irgendwo, wo ihm nichts bekannt vorkam.

Reihenhäuser. Aber keines kannte er. Was sollte er tun? Er fand den Heimweg nicht mehr. Er bückte sich und formte einen Schneeball, den er etwas unschlüssig in der Hand tanzen ließ, bevor er ihn mit großem Schwung in den nächsten Garten warf. Dummerweise verzog er dabei seinen Arm etwas und der Schneeball traf ein Fenster. Der laute Aufprall war nicht zu überhören. Zum Glück ging die Scheibe nicht zu Bruch, aber trotzdem öffnete sich kurz danach die Haustür und ein älterer Herr schaute heraus.
„Hey Junge, was machst du denn da? Willst du uns die Scheibe kaputt schmeißen?“
„Nein, entschuldigen Sie bitte. Ich … ich bin nur so wütend auf mich selbst und meine Mutter und überhaupt! Ich habe nicht darauf geachtet, wohin ich den Schneeball werfe.“
Schlurfend kam der ältere Mann näher. „Du bist nicht aus der Gegend hier, oder? Ich habe dich hier noch nie …“, augenblicklich verstummte der Mann und seine Augen wurden groß. Ungläubig schaute er Jonas an. „Wie heißt du und wo kommst du her?“, fragte er dann etwas unsicher.
„Jonas Kornbach und ich wohne in der Resansiedlung. Ich glaube, ich habe mich vor lauter Wut verlaufen.“, fügte Jonas kleinlaut an.
„Die Resansiedlung? Die ist ein ganzes Stück weg und langsam wird es dunkel. Wenn du heim willst, musst du dich beeilen, Jonas.“ Der Mann schaute Jonas prüfend an und dann sagte er: „Komm mal mit rein, meine Frau macht dir einen heißen Kakao, damit du dich aufwärmen kannst und ich ziehe mich um, dann fahre ich dich, wenn du willst.“
„Das würden Sie tun? Für einen wildfremden Jungen? Wenn ich Sie nun überfallen will?“
„Ach, das würdest du nie tun, da bin ich mir sicher!“, schmunzelte der Mann leicht und ging den Gartenweg zum Haus zurück: „Nun komm schon!“ brummelte er dann etwas unwillig, „Es wird kalt!“

Kaum war die Tür hinter Jonas geschlossen umfing ihn eine wohlige Wärme und er hörte den Mann sagen: „Schau mal wen ich dir mitgebracht habe.“ Jonas ging der Stimme nach und fand sich kurz darauf in einer kleinen Küche wieder. Eine ältere Frau schaute ihn staunend an und sagte dann etwas, was er nicht verstand, was aber so klang wie: „Endlich!“
Nicht mehr und nicht weniger. Schweigend machte sie einen Kakao und stellte die dampfende Tasse auf den Tisch bevor sie sagte: „Nun zieh doch endlich die Jacke aus, Jonas! Und trink deinen Kakao.“ Jonas tat wie ihm geheißen, setzte sich an den Tisch, zog die Tasse heran und trank den dampfenden Kakao, der ihn augenblicklich etwas aufwärmte.
Als die Frau sich wegdrehte, sah er wie sie verstohlen Tränen von der Wange wischte. Bevor Jonas aber etwas fragen konnte, kam der Mann zur Tür herein und sagte: „Ich bin fertig, wir können los!“
Die Frau zog ihren Mann mit in den Flur und sagte Jonas, bevor sie die Tür schloss: „Trink aus, mein Mann wird dich gleich fahren.“

Draußen hörte Jonas Flüsterstimmen, aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte nichts verstehen. Kurze Zeit später kam das Ehepaar wieder in die Küche und Jonas zog seine Winterjacke und die Mütze an. Er begleitete den Mann hinaus in die Garage.
Schweigend fuhren beide, jeder seinen Gedanken nachhängend mit dem Auto in die Resansiedlung. Nur einmal fragte der Mann: „Welche Straße und Hausnummer?“
Jonas sagte sie ihm, dann war es wieder still im Auto. Die Fahrt dauerte eine ganze Weile und Jonas merkte, dass er in einem ganz anderen Stadtteil gelandet war.
Als das Auto vor dem Haus von Jonas hielt, sagte der Mann: „Ich möchte mit hineinkommen.“
Die Mutter von Jonas schaute ganz irritiert, als Jonas den Besuch mit ins Wohnzimmer brachte und vergaß ganz das Schimpfen.
Der Mann hob eine Hand und sprach: „Sag jetzt nichts, bitte! Jonas hatte sich verlaufen und ist ausgerechnet bei uns gelandet. Wenn das keine Fügung des Schicksals ist, weiß ich nicht. Wir sollten den dummen Streit vor vielen Jahren vergessen und uns wieder versöhnen, meinst du nicht auch?“
Jonas Mutter antwortet: „Vielleicht hast du recht, viel Zeit ist ins Land gegangen. Wir sollten zumindest darüber reden und vielleicht können wir neu anfangen?“
Jonas schaute von einem zum anderen und begriff nicht was passiert war.
Dies verstand er allerdings am Weihnachtsabend als alle vier einträchtig unter‘m Weihnachtsbaum der Familie Kornbach saßen und Pläne schmiedeten, wie sie die verlorene Zeit nachholen könnten.
Ob ihr es glaubt oder nicht, dieses Weihnachtsgeschenk war das schönste für Jonas!
Eins, an das er noch viele Jahre später zurückdenken würde, denn endlich hatte er seine Großeltern wieder.

Liebe Grüße

cat

 Veröffentlicht von am 6. Dezember 2014 um 21:29  Kennzeichnung:

  2 Antworten zu “Jonas und der Weihnachtswunsch”

  1. Liebste cat,

    eine ganz wunderbare Geschichte, die mir tief zu Herzen geht!!

    <3lichst
    Manuela

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