Nov 052014
 

Am 19.11. lesen wir von der Autorengruppe „Eulenfeder“ wieder in der Stadtblibliothek Bad Kreuznach. Diesmal zum Thema: Der blanke Horror!
Meine Geschichte für die Lesung heißt ‚Der Nachbar‘ und da ihr mir nich zuhören könnt, dürft ihr sie hier lesen. 😀

Es ist heiß und ich gehe hinaus in den Garten. Setze mich ins Gras, lehne mich mit dem Rücken an die große Kastanie, ein Buch auf den Knien. Ich will nur kurz die Augen schließen, um den Grillen und Vögeln zu lauschen – und bin urplötzlich in meiner früheren Wohnung in Eisenberg. Es muss Ende 2003 oder Anfang 2004 sein.
Draußen im Flur brüllt jemand rum. Schreit: „Ich bring dich um, du Sau!“



Ich öffne die Tür und sehe zwei junge Kerle. Der größere hat ein Messer in der Hand und schreit den kleineren, den er an die Wand drückt, an: „Ich bring dich um!“
Ich zögere und dann mische ich mich doch ein. Ich gehe zu den zweien. Der größere ist ca. 25, der kleinere etwas jünger. Immer wieder schlägt der größere auf den kleinen ein, hält in der anderen Hand das Messer und schreit ihn an.

„Hey, was soll das! Lass ihn. Was hat er dir denn getan?“, frage ich.
„Der schmeißt immer Müll auf meinen Abtreter! Ich hab‘ ihm schon paar Mal gesagt, er soll das lassen, aber er lässt das einfach nicht!“
„Komm, lass gut sein. Du willst ihn doch nicht wirklich umbringen, steck das Messer weg!“
„Nein. Ich bring ihn jetzt um, dann macht er das nicht noch mal!“
„Hey, komm, lass sein. Du willst doch nicht in‘ Knast kommen, wegen so einem!“, abwertend habe ich gesprochen, verächtlich. Ich will ihn von dem jüngeren ablenken. „Komm, lass sein. Er wird’s nicht mehr tun und gut, ok?“
Als er nicht reagiert sage ich zu dem kleineren Mann: „Los, sag ihm, dass du es nicht mehr tun wirst!“
Der zittert am ganzen Leib, flüstert aber: „Ich mach das nicht mehr, ehrlich! Echt nicht! Ich weiß auch nicht, warum ich das gemacht hab. Tut mir leid …“ und nuschelt dann nur noch, immer bereit sich vor dem nächsten Schlag zu ducken.

Immer wieder rede ich auf den größeren, älteren ein. Immer wieder sage ich, dass der andere es nicht wert ist, für ihn ins Gefängnis zu gehen. Irgendwann habe ich Erfolg, der größere lässt den Jungen los und dieser verschwindet sofort in seiner Wohnung, schließt die Tür ab.
Ich stehe noch eine Weile im Flur und beruhige den älteren. Dann geht er ein Stockwerk höher, in seine Wohnung.

Als ich unsere Wohnungstür hinter mir schließe, atme ich auf, meine Mädels umarmen mich. „Mama, ich hatte so eine Angst um dich!“
„Ich auch, aber darüber habe ich nicht nachgedacht.“, antworte ich.

Komisch ist, dass ich den beiden nie wieder im Treppenhaus begegnete. Immer mal hörte ich, wie die Tür des jüngeren gerade geschlossen wurde, wenn ich um die Flurecke bog.
Ich hätte ihm gerne gesagt, dass ich nicht glaube, dass er nutzlos ist, oder nichts wert, dass dies zu behaupten aber für mich die einzige Möglichkeit war, ihm zu helfen …

Wir zogen im Frühjahr 2004 aus diesem Haus aus. Und etwas später erfuhr ich in der Presse, dass der ältere Mann ein Serienmörder ist. Meine älteste Tochter hatte mir erzählt, dass das SEK seine Wohnung geräumt hat.
Mirko H. hatte, beginnend im Februar 2004, vier Menschen mit bis zu 30 Messerstichen getötet und einen Mann schwer verletzt. Das setzte mir noch lange zu …

Ich stehe auf und gehe ins Haus.
Bei einem Glas Rotwein hänge ich meinen Gedanken nach und bin meinem Schutzengel mal wieder unendlich dankbar!

Liebe Grüße
cat

  2 Antworten zu “Der Nachbar”

  1. Liebste cat,

    erneut habe ich Deine Geschichte mit Spannung gelesen. Wieder überkam mich das große Gruseln!! Wo hast Du bloß diesen Mut hergenommen!!!??

    Alles Liebe und Gute
    Manuela

    • Liebe Manuela,

      ich weiß es nicht. Ich habe einfach gehandelt, ohne vorher nachzudenken. Sonst hätte ich die Wohnungstür wohl wieder zu gemacht.

      Liebe Grüße
      cat

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