Mai 242014
 

Wie gestern bereits angedroht, dürft ihr heute meine Geschichte zum Lied My Way lesen. Entstanden ist sie im Jahr 2006.

Viel Spaß dabei. 😉

My Way

Der Lehnstuhl bewegt sich leicht im Wind und ich fühle deine Nähe. Besonders hier, auf der Terrasse. An Abenden wie diesem fühle ich dich sehr intensiv. Ja, ich rede mit dir, obwohl du mich nicht mehr hören kannst. Du, der einmal alles für mich war …

Erinnerst du dich an unseren ersten Tanz? Frank Sinatra sang „My Way“. Für mich ist sein Lied das wohl schönste und schrecklichste zugleich. Ich höre es mir nur noch selten an. Eigentlich nur an solchen Abenden wie heute, an denen wir uns nah sind.
Es tut weh es zu hören, aber ich liebe diese Platte. Ich mag das Knistern und dieses Gefühl von Wärme, welches Schallplatten vermitteln.
„I did it my way“ – leise dringt Franks Stimme aus den Lautsprechern und ich erinnere mich.

Mitte 1970 hörte ich das Lied zum ersten Mal und sofort hatte ich das Gefühl, da singt einer nur für mich. Komisch, denn ich war damals gerade 20 und hatte kaum Lebenserfahrung. Du standest vor mir und batest um den nächsten Tanz. Der DJ legte Franks „My Way“ auf. Wir tanzten eng umschlungen und ich glaube, in diesen Momenten verliebte ich mich in dich. Franks Stimme und unsere Körper wurden eins. Einfach himmlisch!

Gut ein Jahr nach unserem ersten Tanz, feierten wir unsere Hochzeit. Franks Lied eröffnete die Feier und gab uns beiden die Möglichkeit den ersten Tanz als Eheleute zu probieren.

Während Franks Stimme gerade aus den Lautsprechern tönt, sehe ich die Situation vor mir.

Hach, war das schön! So eng an dich geschmiegt, in der Mitte des Saales zu tanzen. Alle Freunde und Verwandten standen im Kreis um uns herum und klatschen als wir uns nach diesem Tanz einen sehr intensiven Kuss gaben. So lange ist es her und doch ist es, als wäre es gestern.

Ein Jahr nach unserer Hochzeit wurde unsere Liebe durch Miri gekrönt. Im Nachtprogramm des Autoradios lief gerade Franks Lied, als du mich ins Krankenhaus fuhrst, weil die Wehen eingesetzt hatten. Ich hatte das Lied noch im Ohr, als Miris erster Schrei ertönte …

So viel geht mir jetzt im Kopf herum, so viele Erinnerungen.

Ja, ich weiß jetzt wieder, warum ich dieses Lied nur noch selten höre, denn das nächste Mal, als ich es sehr bewusst hörte, erklang es auf einer Beerdigung – auf Miris Beerdigung. Miri war nur drei Monate alt, als sie uns wieder verlies, aber auch sie kannte Franks Lied genau. Zu der Zeit hörte ich es wohl tausendmal am Tag, weil nur dieses Lied Miri beruhigen konnte.

Schon komisch irgendwie, aber Miri schien das Lied sehr zu mögen, denn nur „My Way“ schaffte es, dass sie friedlich schlummerte, während die Apparate rings um sie herum leise Pieptöne und andere Geräusche von sich gaben. In den drei Monaten von Miris Leben, die wir zum größten Teil im Krankenhaus verbrachten, war es Franks Stimme, die uns in unserem Schmerz erreichte und die Miri wohl das Gefühl von tröstlicher Wärme und Nähe gab.
Unsere scheuen, sanften Berührungen konnten ihr diese Gefühle scheinbar nicht vermitteln.

Als zwei Jahre nach Miris Tod unser Sohn geboren wurde nannten wir ihn Frank.
Und aus dem kleinen Kofferradio auf dem Nachttisch meiner Bettnachbarin erklang Frank Sinatras „My Way“, als ich ihn das erste Mal stillte. Unser Sohn mühte sich ab und seiner Mutter liefen Tränen die Wangen hinunter.

Ein paar Jahre später, zu Franks Schuleinführung, hörten wir wieder dieses Lied. Unser Sohn sang es mit, als es am Morgen im Radio zu hören war. Ich weiß nicht, woher er es kannte, denn ich vermied es Sender zu hören, welche Musik aus den Siebzigern spielten. Zu schmerzlich waren alle Erinnerungen.
Ich schob das Lied weit weg von mir, aber Frank hörte es heimlich, still und leise immer wieder in seinem Zimmer. Er hatte uns einfach die Platte aus dem großen Stapel geklaut.
Ich kam erst ein paar Jahre später dahinter, als dieses Lied einmal laut und unverfälscht aus seinem Zimmer klang, kurz bevor ich die Eingangstür unseres Hauses aufschloss.

Ich bemühte mich keine Reaktion zu zeigen und ließ ihn gewähren.

Später spielte er dieses Lied nicht mehr heimlich, sondern fing an, es im Klavierunterricht zu üben. Sein Lehrer hat wohl nie verstanden warum Frank ausgerechnet dieses Lied dauernd übte.

Als Frank auf die Uni ging um Medizin zu studieren, nahm er den Plattenspieler und die Platte von Frank Sinatra mit. Damals spielte er sie für uns zum Abschied und wir beide tanzten dazu. Ob es ihm Spaß machte, seine Eltern tanzen zu sehen, weiß ich nicht zu sagen.

Danach hörte ich lange Zeit sehr wenig Musik, aber vor zwei Jahren, als du krank wurdest und es sich abzeichnete, dass du deine Krankheit wohl nicht besiegen könntest, schenkte mir Frank die Platte zurück.

Weißt du noch?
Am Abend, bevor du für immer einschliefst, hörten wir sie. Du warst nach Hause gekommen. Im Krankenhaus sagte man uns, dass du die nächste Nacht nicht überleben würdest und Frank hatte nichts eiligeres zu tun als unser Lied aufzulegen, als wir zu Hause ankamen.

Jetzt bin ich allein in unserem Haus, aber Franks Lied begleitet mich noch immer. Nicht nur, dass es auch auf deiner Beerdigung gespielt wurde, nein, es erinnert mich an dich und Miri und unseren Frank.

Ich bin müde. Langsam stehe ich auf und gehe ins Haus, hebe den Arm des Plattenspielers noch einmal an und setze ihn auf den Anfang der Rille.
Leise singt Frank:
„And now, the end is near, and so I face, the final curtain.
My friend, I’ll say it clear,
I’ll state my case, of which I’m certain.
I’ve lived, a life that’s full, I’ve travelled each and every highway.
And more, much more than this,
I did it my way.”

Ich setze mich auf das Sofa, höre dem Lied zu, welches mich so lange Zeit in meinem Leben begleitete, schließe die Augen und bin bei dir.

Ja, ich will bei dir bleiben, endlich Ruhe finden.

Franks Stimme hilft mir alles zu vergessen und langsam hinüber zu gleiten, hinüber zu dir, dich in meine Arme zu schließen und unendlich glücklich zu sein …

 

 

Liebe Grüße

cat

  2 Antworten zu “My Way”

  1. Liebste cat,

    mir fehlen die Worte … Ergriffenheit macht sich in mir breit …

    Gaaanz liebe Grüße
    Manuela

 Antworten

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