Apr 072013
 

Wer lebt denn hier über seine Verhältnisse?
Zitat von Stephan Ueberbach, SWR, ARD-Hauptstadtstudio:

Liebe Bundesregierung, sehr geehrte Frau Merkel,

wen meinen Sie eigentlich, wenn Sie sagen, wir hätten jahrelang über unsere Verhältnisse gelebt?

Ich jedenfalls habe das nämlich ganz sicher nicht getan. Ich gebe nur das Geld aus, das ich habe. Ich zahle Steuern, bin gesetzlich krankenversichert und sorge privat für das Alter vor. Ich habe mich durch Ihre Abwrackprämie nicht dazu verlocken lassen, einen überflüssigen Neuwagen zu kaufen, ich bin kein Hotelier und kein Milchbauer. Und „Freibier für alle“ habe ich auch noch nie verlangt.

Wer war wirklich maßlos?

Meinen Sie vielleicht die Arbeitslosen und Hartz IV-Bezieher, bei denen jetzt gekürzt werden soll? Meinen Sie die Zeit- und Leiharbeiter, die nicht wissen, wie lange sie ihren Job noch haben? Oder meinen Sie die Normalverdiener, denen immer weniger netto vom brutto übrigbleibt? Haben die etwa alle „über ihre Verhältnisse“ gelebt?

Nein, maßlos waren und sind ganz andere: Zum Beispiel die Banken, die erst mit hochriskanten Geschäften Kasse machen, dann Milliarden in den Sand setzen, sich vom Steuerzahler retten lassen und nun einfach weiterzocken als ob nichts gewesen wäre.

Mehr Beispiele gefällig?

Zum Beispiel ein beleidigter Bundespräsident, der es sich leisten kann Knall auf Fall seinen Posten einfach hinzuwerfen – sein Gehalt läuft ja bis zum Lebensende weiter, Dienstwagen, Büro und Sekretärin inklusive.

Zum Beispiel die Politik, die unfassbare Schuldenberge aufhäuft und dann in Sonntagsreden über „Generationengerechtigkeit“ schwadroniert. Die von millionenteuren Stadtschlössern träumt und zulässt, dass es in Schulen und Kindergärten reinregnet. Die in guten Zeiten Geld verpulvert und in der Krise dann den Gürtel plötzlich enger schnallen will, aber immer nur bei den anderen und nie bei sich selbst.

Liebe Frau Bundeskanzlerin, nicht die Menschen, sondern der Staat hat dank Ihrer tätigen Mithilfe möglicherweise über seine Verhältnisse gelebt. Ganz sicher aber wird er unter seinen Möglichkeiten regiert.

Mit – verhältnismäßig – freundlichen Grüßen,

Ihr Stephan Ueberbach
Zitat Ende

 

Interessant ist daran, dass Stephan Ueberbach diesen offenen Brief im Mai/Juni 2010 (laut eigener Recherche, genauer kann ich es nicht beziffern) geschrieben hat.
Nämlich, als die Bundeskanzlerin, die neuesten Sparpläne mit dem Kommentar:
„Wir haben jahrelang über unser Verhältnisse gelebt“ vorstellte.

Jetzt taucht der Brief wieder überall im Netz auf, wird viel, z.B. auf Facebook, geteilt. Und es scheint mir, dass der Brief (leider) nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.

Ich habe mir ja damals, nach dem Ende der DDR vorgenommen, mich nicht mehr politisch zu engagieren, nachdem es einmal so grandios schief gegangen ist. Was natürlich nicht heißt, dass ich plötzlich ein unpolitischer Mensch bin, oder mich nicht mehr für Politik interessiere.
Und ich glaube schon allein wegen der letzten beiden Sätze, hätte ich den Brief mit unterschrieben.
Wie ist es mit euch?

Liebe Grüße

cat

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