Dez 262015
 

Wie ihr gelesen habt, habe ich am 23.12. eine Geschichte geschrieben. Sie ist zwar nicht unbedingt weihnachtlich, aber ich möchte sie euch trotzdem nicht vorenthalten. 😉

Das Haus am Ende der Straße
© Claudia Sohler (23.12.2015)

Als ich klein war, stand am Ende der Straße ein altes Haus. Besonders im Winter sah es wie ein Hexenhaus aus mit seinen grünen Fensterläden an kleinen Fenstern mit Holzrahmen, dem großen Kamin auf dem schneebedeckten Dach, aus dem dunkler Rauch quoll, dem Stapel aufgeschichtetem Holz an der Seitenwand und dem windschiefen Lattenzaun davor.
Der Schnee hatte regelmäßig den kleinen Vorgarten bedeckt, nur eine kleine Schneise zur Gartentür war geräumt. Diesen Weg ging die alte Frau, die darin wohnte, täglich, um ihre Zeitung aus dem Briefkasten zu holen. Als eine meiner Freundinnen sie einmal dabei beobachtete und sah, dass die schwarze Katze der alten Dame dabei auf ihrer Schulter saß, die Alte deshalb einen recht krummen Rücken machte, damit das Kätzchen nicht hinabglitt, war ihr Spitzname entstanden. Fortan nannten wir die alte Frau nur noch ‚die Hexe‘.
Die Hexe war zwar freundlich, aber es gingen auch seltsame Dinge in ihrem Haus vor. Oftmals hörte man draußen auf der Straße beim Vorbeigehen ein Wehklagen und Schreie.
Wir Kinder fürchteten uns deshalb und gingen nur ungern diesen Weg entlang. Und wenn es doch einmal unumgänglich war, dort vorbei zu gehen, rannten wir so schnell wir konnten, bis wir zwei Häuser weiter anhielten, um Atem zu holen.

Als ich älter wurde, war das Ganze nicht mehr so gruselig und meine Mutter erklärte mir auch das Wehklagen. Die alte Frau war eine der wenigen Hebammen, die es zuließen, dass die Kinder in ihrem Haus und nicht in der Klink geboren wurden.
Eines Abends, kurz vor Weihnachten, klingelte es an unsere Tür. Meine Eltern waren nicht zu Hause und so öffnete ich. Draußen stand die Hexe. Sie bat mich, nach einem Arzt zu telefonieren, es gäbe Komplikationen und sie brauche sofort einen Krankenwagen und einen Arzt.
Es gab noch nicht in jedem Haus Telefon und Handys waren ein weit entfernter Wunschtraum.
Sie bat mich also, nach einem Arzt zu telefonieren und dann zu ihr zu kommen, um ihr zu sagen, wann der Arzt eintreffen würde.
Noch bevor ich etwas erwidern konnte, drehte sie sich um, und stapfte durch den Schnee davon.
Ich telefonierte, aber alle Krankenwagen waren wegen des Wetters unterwegs. Es gab viele Unfälle, weil Eisregen eingesetzt hatte. Man versprach mir, dass der nächste Wagen, der zurückkommen würde, zu uns geschickt werden würde.
Ich zog mich warm an und machte mich auf den kurzen Weg zur Hexe. Insgeheim hatte ich schon etwas Angst, aber was blieb mir anderes übrig?
Etwas beklommen klopfte ich an ihrer Tür, die kurz darauf aufgerissen wurde. Ein Schwall warmer Luft nahm mir kurzzeitig die Sicht und den Atem, da spürte ich schon, wie ich am Arm in das Haus gezogen wurde.
„Was haben die im Krankenhaus gesagt, wann kommt jemand?“
„Das wird noch dauern“, wagte ich vorsichtig zu erklären. „Es gab viele Unfälle und da sind alle unterwegs.“
„Komm, zieh dich aus und mach dich nützlich!“ Forsch hatte die Hexe gesprochen und ich leistete folge.
„Los, los, mach schnell! Ich brauche heißes Wasser und koch´ Tee. Das kannst du doch, oder?“ Noch bevor ich antworten konnte, verschwand die Alte in der angrenzenden Kammer. Die Tür war nur angelehnt und ich hörte ein leises Stöhnen und Wimmern.
Obwohl ich noch nie in diesem Haus gewesen war, fand ich die Küche auf Anhieb. Kunststück, die Tür stand offen und der Pfeifkessel fing gerade zu singen an. Ich zog meine dicke Jacke aus und legte sie auf die Holzbank in der Ecke, ehe ich mich daran machte, nach Tee und einer entsprechenden Kanne zu suchen. Beides stand auf dem Küchenschrank und so füllte ich die Kanne mit dem kochenden Wasser aus dem Pfeifkessel und stellte diesen, mit frischem Wasser gefüllt, wieder auf den Ofen. Dann setzte ich mich, denn ich traute mich nicht in den angrenzenden Raum. Aber Zeit, mich richtig umzuschauen hatte ich nicht, denn plötzlich stand die Hexe wieder in der Tür, verlangte nach dem Tee, das heiße Wasser würde sie nicht mehr brauchen und verschwand wieder. Jetzt musste ich doch, wohl oder übel, hinüber.
Ich goß Tee in zwei große Tassen und ging langsam aus der Küche in den Flur und dann durch die Tür.
Genau im richtigen Moment, denn das Baby war gerade geboren worden und schrie aus Leibes Kräften. Ich sah, wie die Hausherrin es in weiße Laken hüllte und der Mutter in den Arm legte. Dann ließ sie sich auf einen nahen Stuhl plumpsen und langte nach einer der Tassen, die ich immer noch in den Händen hielt.
Wenn ich sie mir jetzt so betrachtete, sah sie gar nicht so alt wie vermutet aus. Sie sah müde aus ja, aber durchaus nicht alt.
Es klingelte und die Frau schaute mich an, mit einem Kopfnicken deutete sie zur Tür, also ging ich öffnen.
Der Krankenwagen. Als die junge Mutter mit dem Kind und die Sanitäter das Haus verlassen hatten, sprach die Hausherrin mich an: „Du kannst Lore zu mir sagen. Hast mir gut geholfen! Vielleicht kommst du mich ja demnächst mal unter anderen Bedingungen besuchen?“
„Ich habe doch nur Tee gekocht“, brachte ich mehr schlecht als recht hervor.
„Oh, Tee kochen ist die wichtigste Arbeit beim Hebammendienst.“ Sie lächelte mich an und ich lächelte zurück.

Natürlich habe ich Lore danach wieder besucht. Wir wurden sogar Freundinnen. Und wann immer ich andere über die Hexe reden hörte, versuchte ich sie aufzuklären.
Aber einmal Hexe, immer Hexe, wie man so schön sagt. Den Namen wurde Lore nicht mehr los. Ganz im Gegenteil, er ging sogar auf die neue Besitzerin des Hauses über.
Ich trage ihn mit Stolz, erinnert er mich doch immer an Lore, die Hebamme.

Liebe Grüße
cat

 Veröffentlicht von am 26. Dezember 2015 um 14:58  Kennzeichnung:

  2 Antworten zu “Das Haus am Ende der Straße”

  1. Eine ganz zauberhafte Geschichte, liebe cat!!
    Mit Vergnügen habe ich sie gelesen.

    Herzlichst
    Manu

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