Sep 162015
 

In der Autorengruppe Eulenfeder gibt es bei den monatlichen Treffen immer eine Hausaufgabe. Manchmal gefällt mir das Thema nicht, oder ich habe keine Zeit zum Schreiben. Diesmal habe ich mich aber am Vorabend des Treffens noch hingesetzt und diese Geschichte zum Thema geschrieben:

Als die Gummistiefel noch aus Holz waren
© catsoul 08.09.2015

Wir leben auf einer kleinen bewaldeten Insel im Zahlenmeer. Da unsere Wälder schnell wachsen, was wir dem Umstand verdanken, dass unser Klima dies begünstigt und dem Samen der Bäume ein Zauber innewohnt, besteht so ziemlich alles, was wir produzieren aus Holz. Nicht nur unsere Häuser, Bänke, Tische, Teller, Tassen und das Besteck sind aus Holz, auch viele andere Alltagsdinge wie Spinnräder und Stricknadeln werden aus diesem Rohstoff hergestellt. Zum Beispiel auch unsere Schuhe. Wir haben ausgesprochene Meister, die das Holz so bearbeiten können, dass jeder Fuß einen passgenauen Schuh erhält. Ihr könnt euch denken, dass man dadurch jeden Besucher schon sehr früh hört, denn auch unsere Wege sind aus Holz. Seit neuesten haben wir sogar Fahrräder aus Holz. Es ist etwas beschwerlich damit zu fahren, aber je länger man übt, umso besser wird man. Besonders die Kinder düsen damit durch die Wälder und es ist ein Wunder, dass es noch keine schlimmen Unfälle gab. Natürlich haben wir auch ein Krankenhaus, in dem vieles aus Holz ist, einzig Spritzen sind aus Stahl. Da Stahl aber sehr teuer ist, sind Spritzen, Töpfe und Äxte das einzige was aus diesem wertvollen Rohstoff hergestellt wird. Unsere Kleidung besteht aus Baumwolle, denn auch die Baumwollpflanzen wachsen in unserem Klima sehr gut.

Unsere Öfen sind im Inneren aus Holz, welches an den Außenwänden mit Lehm bestrichen wird. Wenn alles Holz im Ofen verbrannt ist, wird einfach ein neuer Holzofen in den Lehmkörper eingesetzt.
Wir sind sehr glücklich auf unserer Insel, einzig wenn es regnet, traut sich keiner vor die Tür. Denn unsere Schuhe saugen sich voll mit Wasser und werden schwer. Leider hat bisher noch keiner auf unserer Insel ein Mittel dagegen gefunden, aber da es immer nur donnerstags regnet und manchmal auch gewittert, also donnert – daher hat der Tag seinen Namen – kann man sich damit abfinden und wir haben uns alle arrangiert. An Donnerstagen bleibt jeder zu Hause und hat einen freien Tag. Deshalb ist es gut, dass nach Donnerstag der Freitag kommt – so haben wir immer zwei zusammenhängende freie Tage in der Woche. Ab Samstag arbeiten wir dann wieder bis Mittwoch. Während ich so darüber nachdenke, frage ich mich, warum der Mittwoch Mittwoch heißt, denn er ist doch gar nicht mitten in der Woche. Da muss ich mal unsere Gelehrten fragen. Aber ich schweife ab.

Vor ein paar Monaten jedenfalls ist es passiert, dass Heinz im Wald beim Roden am frühen Morgen hinfiel und mit seiner Axt einem Baum der Länge nach die Rinde aufschlitzte. Heinz verletzte sich an beiden Beinen und konnte alleine nicht nach Hause gelangen, also lag er da im Wald bis seiner Frau auffiel, dass er nicht zum Essen nach Hause kam. Sogleich trommelte sie ein paar Nachbarn zusammen und gemeinsam machten sie sich auf die Suche nach ihm – dazu später mehr.

Während Heinz also im Gras unter dem hohen Blätterdach lag und sich nicht rühren konnte, dachte er nach und beobachtet die Bäume, hörte auf das Blätterrauschen und schlief irgendwann ein.
Er erzählte mir später, dass er sehr intensiv träumte, von den Bäumen und von einem Mann, der ihm zeigte, was passiert, wenn man bei Bäumen – insbesondere unseren Bäumen – die Rinde anritzt.

Irgendwann, als es langsam dunkel wurde, hörte er endlich die Rufe seiner Frau und der Nachbarn und war gerettet. Ein paar Tage musste er zu Hause bleiben, weil seine Wunden heilen mussten, aber er war deshalb nicht traurig, denn immer wieder kam ihm sein Traum in den Sinn.
Und so machte er sich, als er wieder gesund war, auf den Weg und suchte den Baum, dessen Wurzeln er seinen Unfall verdankte. Er betrachtete seinen Schnitt in der Rinde genau und sah, dass sich eine klebrige Flüssigkeit gebildet hatte. Sogleich lief er nach Hause, holte einen kleinen Holztopf und etwas Wolle und befestigte beides an dem Baum, um die klebrige Substanz aufzufangen, wie es ihm der Mann in seinem Traum gezeigt hatte.

Nach einiger Zeit fing er an Versuche mit dieser Flüssigkeit zu machen, er beschmierte alles möglich damit und stellte fest, dass Wasser das Holz, welches er damit bestrich nicht durchdringen konnte. Es war ein Donnerstag, und da er eh nicht aus dem Haus gehen konnte, beschmierte er sein zweites Paar Schuhe mit der klebrigen Masse und stellte sie in die Nähe des Ofens, damit alles trocknen konnte. Ungeduldig wartete er auf den nächsten Donnerstag und dann wagte er das ungewöhnliche. Er zog die beschmierten Schuhe an und trat hinaus in den Regen.

Er tanzte im Regen, lachte, rannte, freute sich und lief durch tiefe Pfützen, wie es kleine Kinder ohne Schuhe tun. Und das Wunder geschah, seine Schuhe wurden nicht nass. Sie wurden nicht schwer. Sie waren leicht wie immer. Das war der Moment in dem er seiner neuen Entdeckung den Namen Stiefel gab. Inzwischen tragen alle von uns Stiefel und auch sonst sind einige Dinge mit diesem neuen Rohstoff verkleidet. Aber der Donnerstag ist immer noch unser freier Tag, nur hocken wir nicht mehr alleine zu Hause herum, sondern treffen uns in unserer Gemeinschaftshütte und verbringen jede Woche unvergessliche Stunden zusammen.

Ich hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen!
Liebe Grüße
cat

  2 Antworten zu “Als die Gummistiefel noch aus Holz waren”

  1. Liebste cat,

    welch ein Einfallsreichtum!! Ja, danke, ich hatte Spaß beim Lesen!!

    Alles Liebe
    Manuela

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