Mrz 062014
 

Diese Geschichte entstand im März 2010 für eine Lesung der Autorengruppe Eulenfeder.

Entscheidung

Die Sonne leckte die letzten Schneereste von der Ackerkrume, ein Traktor zog die Egge übers Feld und Lukas hing seinen Gedanken nach, während er ihn dabei beobachtete.

Er hatte zu früh geheiratet, eindeutig. Doch damals ging das nicht anders, er konnte sich nicht wehren. Lola und er hatten sich mit 17 Jahren kennen gelernt und als sie schwanger wurde, gab es für alle nur einen Ausweg – die zwei mussten heiraten. Selbst als Lola das Kind im dritten Monat verlor, gab es kein zurück. Was sollten denn die Leute sagen?
Alles war schon abgemacht, alle Verwandten eingeladen – da konnte man einfach keine Rücksicht auf Lukas nehmen, dessen Zweifel mehr und mehr wurden. Also fügte er sich.

‚Heute würde ich das nicht mehr machen!’, dachte er kämpferisch und schritt schneller aus. Mit großen Schritten kam er am Waldrand an. Im Wald war es geschützter und Lukas merkte, dass er fror. Was er hier wollte, wusste er nicht. Vielleicht einfach der Nase nach laufen, den Wind den Kopf frei blasen lassen, damit die Gedanken kreisen konnten.

Lukas, oh, er konnte seinen Namen nicht mehr hören. Wenn er nur daran dachte, wie seine Schwiegermutter ihn oft extra falsch betonte, weil sie meinte, sie würde ihm eine Freude damit machen: Luk-Ass.
Die Wut trieb ihm Tränen in die Augen, unwirsch wischte er sie bei Seite.
Dabei hatte er seinen Namen als Kind geliebt. Und wie sehr hatte er Lokomotivführer werden wollen, so wie der Lukas bei Jim Knopf in der Augsburger Puppenkiste. Natürlich würde seine Lok auch Emma heißen. Lukas grinste als er an seine Kinderträume dachte.
Nein, er war kein Lokomotivführer geworden, hatte seine Träume aufgegeben, als er Lola begegnete. Jetzt war er Schweißer in der Maschinenfabrik, machte ab und zu Doppelschichten, um Geld zur Seite zu legen, damit irgendwann ein Urlaub drin war.
Oder machte er Doppelschichten, um den langweiligen Abenden vorm Fernseher zu Hause zu entgehen?
Lukas wusste, er stand am Scheideweg seines Lebens. Wenn er jetzt nicht die Kurve kriegte, würde ihm alles egal sein – er würde sich nur noch treiben lassen.

Dass Lolas Bemühungen erneut schwanger zu werden in einem Fiasko endeten, war nur ein weiterer Haufen auf seiner ganz privaten Müllhalde. Sehr schnell war Sex zu einer Pflichtveranstaltung verkommen, Lukas hatte immer weniger Lust, was dazu führte, dass er immer öfter Ausflüchte suchte und Migräne vortäuschte. Bei diesem Gedanken schüttelte er den Kopf und fragte sich:
‚Wo bin ich nur hingeraten? Wenn ich das meinen Freunden erzählen würde, die würden sich totlachen! Ein Mann täuscht Migräne vor, um keinen Sex zu haben. Na danke!’

Lukas blieb verwundert stehen – hatte er gerade Freunde gedacht? Freunde? Seit er mit Lola zusammen war, hatte er keinen Abend für sich, geschweige denn einen für seine Freunde. Die Konsequenz war, dass sich die Freunde zurückzogen.
Klar, am Anfang hatte er aufbegehrt, aber als er und Lola mit in das Haus von Lolas Eltern zogen – in eine separate Wohnung, die extra für sie ausgebaut wurde – hatten Lukas die dauernden Diskussionen mürbe gemacht.
„Was sollen denn die Leute sagen, wenn du alleine unterwegs bist?“ oder „Ihr seid so kurz verheiratet, da gehört sich das nicht!“ waren die mildesten Sätze, die er sich anhören musste, wenn er mal einen Abend alleine verbringen wollte.
Wenn er darüber nachdachte, merkte er erst, in welche Abhängigkeiten er sich da hineinmanövriert hatte.

So ging das nicht weiter! Er musste unbedingt mit Lola reden, ihr klar machen, dass er nicht ihr Eigentum war. Aber die schwebte irgendwo in höheren Sphären, träumte von einem Haus voller Kinder und plante die Zukunft mit rosaroter Brille.
Doch wenn es so weiter ging, gäbe es keine Zukunft für sie beide. Langsam wurde es düster, Zeit umzukehren.
Nein, er stand nicht weiter zur Verfügung. Das musste er Lola sehr deutlich machen, wenn sie noch eine Zukunft haben wollten. Er liebte sie sehr, aber nicht genug, um sich weiter selbst zu verleugnen. Lukas fühlte sich erstickt, gefesselt und so klein, dass er sich selbst fast nicht mehr spürte.

Als Lukas nach Hause kam schlief Lola auf dem Sofa und der Fernseher brüllte ihn an. Lukas stellte ihn leiser und tigerte im Zimmer auf und ab. Nein, so ging es wirklich nicht weiter. Er fasste einen Entschluss, begab sich ins Schlafzimmer und packte einen Koffer mit seinen Sachen. Plötzlich stand Lola in der Tür.
„Ich verlasse dich.“, sagte er.
Lolas Augen wurden groß. Fassungslos schlug sie eine Hand vor den Mund. Tränen sammelten sich in ihren Augen und liefen die Wangen hinab. Stumm schaute sie Lukas eine Weile zu, bevor sie flüsterte:
„Was werden die Leute sagen?“
„Ich will dich verlassen und das einzige, was dir Sorgen macht sind die Leute?“ schrie Lukas laut. Lola war einen Schritt zurück gewichen und hatte die Hände erhoben, als erwarte sie Schläge.
Lukas musste sich irgendwo festhalten. Er hatte sie noch nie geschlagen und würde heute nicht damit anfangen. Frustriert lehnte er sich an die kalte Wand bis die Kühle seine Jacke durchdrang und ihn frösteln ließ. Gleichzeitig atmete er langsam ein und aus, um sich zu beruhigen.

Verzweiflung durchflutete ihn. Lukas schaute auf Lola, die vor ihm stand wie ein getretener Hund, den Blick nach unten gerichtet. Ihre Schultern hingen tief und ihre Arme berührten fast den Boden. Er legte seinen Zeigefinger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf, dabei strich sein Daumen leicht und zärtlich über ihren Mund. Beide schauten sich in die Augen, sein Schmerz war für Lola fast körperlich spürbar als er tonlos und etwas wegwerfend sagte:
„Die Leute …“ und dann leise: „Ich wollte wissen, was du dazu sagst. Du – nicht die Leute!“
Lukas straffte seine Schultern, nahm seinen Koffer und verließ das Haus.

Liebe Grüße

cat

  2 Antworten zu “Entscheidung”

  1. Puh, liebe cat,

    sehr ergreifende Zeilen. Ja, und die Leute … Das ist eines der Probleme unserer Gesellschaft.

    Alles Liebe
    Manuela

    • Danke. Ja, die Leute … eigentlich sollte man nichts auf andere geben, aber irgendwie kommt man oftmals nicht umhin den Leuten zuzuhören und sich nach ihnen zu richten. Auch wenn man sich dabei verbiegt. 🙁

      Liebe Grüße
      cat

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