Feb 122014
 

Die Geschichte, die ich euch heute erzähle, habe ich im Oktober 2011 geschrieben und sie heißt:

Der Geist

Sandra zog in ihr Traumhaus. Fast das älteste Gebäude in der Stadt, direkt im Stadtzentrum von Bad Kreuznach.
Als sie das erste Mal die Wohnung besichtigte, war sie gleich verliebt. Verliebt in die schrägen Wände, verliebt in den Balken an der Decke, verliebt in die Säule im Flur.
Die ganze Wohnung hatte eine ganz spezielle Aura, die Sandra fast greifen konnte. Sie erzählte Geschichte, wenn man zu hören wollte. Und Sandra wollte zuhören!


In der ersten Nacht nach dem Einzug Anfang Oktober träumte sie von vergangenen Epochen. Sie träumte davon, wie eine Hure im Haus ihre Freier empfing, sie träumte von einer Geburt und sie träumte vom Tod, der leise durch die Zimmer schlich. Als der Tod seine Hand um ihren Hals schloss, wachte Sandra schwer atmend auf.
Es dauerte eine Weile bis ihr Atem sich beruhigte, aber an Schlaf war in dieser Nacht nicht mehr zu denken. Sie stand auf und zog fröstelnd ihren Morgenmantel an.
Das Spiegelbild im Flur sah seltsam fremd aus. Es zeigte eine Frau in mittleren Jahren, die sich immer tiefer in ihre Kleidung versenkte. Sandra erschauderte. Das Bild sah ihr gar nicht ähnlich. Als sie näher an den Spiegel heranging, veränderte sich das Bild und ihre Gesichtszüge traten deutlicher hervor.
Sie lächelte ihr Spiegelbild beruhigt an und drehte sich um.
In diesem Moment sah sie in den Augenwinkeln wie sich eine Gestalt aus dem Schlafzimmer in den Flur begab und dann in Richtung Bad verschwand.

Kurze Zeit später glaubte sie ein Plätschern zu hören. Als sie die Badtür aufriss und das Licht anschaltete, sprang ihr gähnende Leere entgegen. Sie spürte einen kalten Lufthauch, sah zum Fenster und merkte, dass es gekippt war. Sie schloss es, als die Uhr der nahen Pauluskirche gerade Eins schlug. Alles war still und friedlich und so ging sie wieder ins Bett. Unruhig wälzte sich die junge Frau im Bett herum, bis sie in den frühen Morgenstunden endlich einschlief.

Die Nacht hatte Spuren hinterlassen. Nicht auf ihrem Körper, aber in ihrer Seele. Sandra fragte sich den ganzen Tag, ob sie sich das alles nur einbildete. Hatte sie nur geträumt, oder war da etwas? Etwas, was ihre Anwesenheit in diesem Haus nicht mochte? Mit gemischten Gefühlen ging Sandra nach der Arbeit in ihre Wohnung. Was würde sie erwarten? Als sie die Tür aufschloss, war alles ruhig. Nichts deutete darauf hin, dass die Erlebnisse der letzten Nacht real gewesen waren. Also beschloss sie, dass sie sich alles nur einbildete. Eindeutig zu viel Stress! Der hatte in den letzten Wochen durch den Umzug überhand genommen. Sie aß zu Abend und schaute etwas fern, später ging sie noch mal an den Computer um Mails zu checken. Ein warmer Kakao sollte ihr beim Einschlafen helfen und er wirkte hervorragend. Sie schlief durch bis zum Wecker klingeln.

In den nächsten Tagen war sie noch etwas nervös, wenn sie nach Hause kam, aber so langsam ließ ihre Anspannung nach.
Eine Woche nach der ersten Nacht geschah es. Sandra wachte aus wirren Träumen auf und hörte deutlich, wie jemand in der Wohnung hin und her lief. Schleichend stand sie auf, immer darauf bedacht, keinen Laut von sich zu geben.
Gerade schlurften Schritte an der Schlafzimmertür vorbei in Richtung Badezimmer. Und da war auch dieses Plätschern wieder. Sandra zitterte vor Angst, aber kampflos wollte sie ihre Traumwohnung nicht aufgeben. Also schlich sie leise ebenfalls den Flur entlang und riss die Badezimmertür mit Schwung auf und schaltete das Licht an.

Nichts! Nur der Wasserhahn tropfte leise vor sich hin. Vielleicht hatte sie den am Abend nicht richtig geschlossen? Während sie noch darüber nachgrübelte, spürte sie einen eisigen Lufthauch. Es war, als würde jemand durch sie hindurchschlüpfen. Die Haare standen ihr zu Berge und eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus. Ihr Instinkt riet ihr zu fliehen. Aber wohin? So mitten in der Nacht? Während sie noch darüber nachdachte, hörte sie die Turmuhr wieder Eins schlagen.

War es das? Waren hier Geister, die zur Geisterstunde ihr Unwesen in ihrer Wohnung trieben? Aber wenn das so war, warum hatte sie dann ein paar Nächte Ruhe gehabt? Kamen sie nur alle paar Tage? Sandra eilte in das Erkerzimmer und betrachtete sich den Kalender. Es war eine Woche her, seit der ersten Gruselnacht. Badete der Geist ein Mal in der Woche und trieb sich an den anderen Tagen in den Wohnungen der Nachbarn herum? Sie hatte als einzige eine Badewanne, dass wusste sie.
Nun, für heute schien es besser zu sein, ins Bett zu gehen und versuchen, weiter zu schlafen.

Sandra entschloss sich, in der nächsten potentiellen Gruselnacht Schlaftabletten zu nehmen, damit sie den Spuk nicht miterleben musste. Sie hatte zu viel Angst, aber auch keine Bekannten, bei denen sie eine Nacht lang schlafen konnte.
Am darauf folgenden Tag fühlte sie sich wie erschlagen und sehr unruhig, wusste sie doch nicht, ob ihr Hausgeist letzte Nacht wieder spazieren gegangen war oder nicht. Gehört hatte sie nichts. Sandra hatte sogar das Wecker klingeln überhört und war zwei Stunden zu spät zur Arbeit erschienen. Diese Möglichkeit schied also für die Zukunft aus. Allerdings schien der Geist wieder ein Bad genommen zu haben, denn der Wasserhahn tropfte am Morgen leise vor sich hin.

Sandra recherchierte im Internet. Und tatsächlich fand sie nach unzähligen Stunden einen Link zu einer seriösen Agentur, die sich mit der Geisterjagd beschäftigt. Als sie dort anrief, riet man ihr, dass sie erst einmal versuchen sollte sich mit dem Geist zu einigen. Sie sollte ihn einfach ansprechen, wenn er das nächste Mal auftaucht. Das würde aber voraussetzen, dass Sandra genug Mut hatte sich dem Geist zu stellen.

In der entsprechenden Nacht war Sandra sehr aufgeregt. Sie trank etwas Wein, um lockerer zu werden und sich Mut zu machen. Als es Mitternacht läutete, hörte sie, wie jemand durch ihre Wohnung ging. Leise tapsende Geräusche von nackten Fußsohlen, die ihr sofort eine Gänsehaut bescherten. Sie stellte sich mitten in den Flur und als sie einen kalten Lufthauch spürte, sagte sie: „Herr Geist. Ich möchte nicht, dass Sie weiter in meiner Wohnung umherirren und mir Angst machen!“ Sandra erschrak vor ihrer eigenen Stimme. Sie klang fremd und gar nicht so bestimmt, wie sie gewollt hatte. Als Antwort flog in der Küche eine Tasse von der Anrichte, die sie unvorsichtigerweise dort hatte stehen lassen. Als die Tasse auf dem Fußboden zerschellte, drang ein leises Kichern an ihr Ohr. Sandra verlor allen Mut, die Haare standen ihr zu Berge. Sie biss sich auf die Lippen und als sie den leicht metallischen Geschmack von Blut bemerkte, war es mit ihrer Beherrschung vorbei. Sie schrie: „Ich will hier wohnen! Ich will nicht, dass hier nachts jemand rum schleicht und mir Angst macht!“ Die Küchentür flog mit lautem Knall zu, ein frostiger Schauer durchfuhr sie und dann hörte sie wieder im Bad das Wasser rauschen.

Sandra raffte sich dazu auf, ins Bad zu gehen und dann kam ihr eine Idee. Wenn dieser Geist jedes Mal badete, war er vielleicht eine Frau. Also nahm sie alle Reste ihres Mutes zusammen und sagte laut und deutlich:
„Vielleicht bist du ja eine Frau. Dann kannst du sicher verstehen, dass ich meinen Schlaf brauche. Ich erlaube dir, jede Woche ein Bad zu nehmen. Als Gegenleistung musst du aber so leise sein, dass ich schlafen kann und wir uns nicht gegenseitig stören.“ Der Ein-Uhr-Glockenschlag der Pauluskirche setzte diesem Monolog ein Ende. Sandra war geschafft und verwirrt. Sie legte sich ins Bett und schlief wie ein Stein. Die nächste Gruselnacht war entscheidend, dass wusste sie.

Je näher diese Nacht kam, umso schlimmer fühlte sie sich. Sie war mit den Nerven am Ende. Sie hatte keine Augen für irgendetwas, war unausgeschlafen. Dicke Augenringe zierten ihr Gesicht und sie hatte ein paar Pfund abgenommen. Heute Nacht würde sich entscheiden, ob Sandra ausziehen oder sich alles zum Guten wenden würde. Im Bett sitzend, erwartete Sandra fast sehnsüchtig die Mitternachtsglocke vom Kirchturm. Nach dem letzten Ton war alles still.

Alles.

Kein Laut war zu hören.

Auch auf der Straße vorm Haus schien niemand unterwegs zu sein. Vollkommene Stille, die Sandra schon wieder eine Gänsehaut bescherte. Sie fing an zu zittern als leise Tapsen vom Wohnzimmer in den Flur zu hören waren. Der Geist bewegte sich. Sandra spürte ihn, aber die Geräusche waren minimal, so als würde der Geist sich sehr sachte vorwärts bewegen. Sandra hörte, wie der Wasserhahn im Bad geöffnet wurde, aber auch dies geschah fast geräuschlos. Hatte der Geist ihren Vorschlag angenommen? Ebenso lautlos wie der Geist schlich Sandra ins Bad. Der Spiegel beschlug und Sandra sah, wie jemand mit unsichtbarer Hand Buchstaben darauf schrieb. In schnörkeliger Schrift stand wenig später dort zu lesen:
„Dein Vorschlag gilt!“

Seit dieser Zeit lebte Sandra glücklich und zufrieden in ihrer Wohnung. Nur manchmal, wenn es sehr spät wurde, spürte sie den kalten Luftzug und hörte das Wasser rauschen.

Inspiriert zu dieser Geschichte hat mich das Haus in dem wir seit Ende 2004 wohnen. Es wurde im Jahr 1566 erbaut und ist somit eines der ältesten Häuser von Bad Kreuznach, wenn man den Eintragungen trauen kann.

Liebe Grüße

cat
P.S.: Dieser Beitrag wurde schon am 11. Februar geschrieben, da ich heute (am 12.) Kuchen backe (hm, warum nur? *g*) und anschließend Treffen mit den Eulenfedern habe. 😉

  2 Antworten zu “Der Geist”

  1. Liebe cat,

    wenn ich mich recht erinnere, hat mich diese Geschichte schon einmal fasziniert … Einfach entzückend schön und wahnsinnig bildhaft.

    Ein schönes Wochenende und liebe Grüße
    Manuela

    • Dankeschön! Ja, mir gefällt sie selbst auch ganz gut, was ich inzwischen nicht mehr von allen meinen Texten behaupten kann. 😉

      Dir auch ein schönes Wochenende!
      cat

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